Pictures, Video & Audio
Phillip Zach and Maurin Dietrich in conversation
Sand Castles
This conversation between Maurin Dietrich, director of Kunstverein München, and Phillip Zach, visual artist, took place on 10 June 2020 through video conference call. This text is available in German language only, we apologize for the inconvenience.
Maurin Dietrich (M): Hallo Phillip, wo bist du gerade?
Phillip Zach (P): Seit ein paar Tagen bin ich wieder in Deutschland. Im Januar und Februar habe ich auf Hawaii angefangen, an einem neuen Film zu arbeiten, danach wollte ich für Recherchen nach Stanford und andere Orte in Nordkalifornien, aber dann kam der Lockdown und ich saß ein paar Monate in L.A. fest.
M: Bist du denn normalerweise in L.A. zuhause?
P: Ich habe die USA noch letztes Jahr verlassen, was vor allem mit den politischen Entwicklungen dort zu tun hatte. American politics vermisse ich nicht, dafür aber die Nähe die man in L.A. hat zu Wildnis, Ozean und Bergen…
M: … und zur Wüste! Ein Teil meiner Familie wohnt in L.A. und wenn ich sage, dass ich L.A. vermisse, dann meine ich eigentlich das Licht und die Wüste. Wobei den meisten Leuten natürlich erst mal ein Bild dieses Monstrums an Stadt in den Kopf schießt.
P: Bist du da auch aufgewachsen?
M: Nein, aber ich habe über die Jahre viel Zeit dort verbracht. Letztes Mal war ich länger bei der amerikanischen Künstlerin Andrea Zittel in der Wüste. Das wäre für mich auch eine denkbare Exit-Strategie, wenn ich mal keine Energie mehr habe, einen längeren Zeitraum in dem extrem beengten Kunstkontext zu arbeiten.
P: So könnte ich mir das auch vorstellen. Eigentlich hatte ich geplant, die letzten Wochen auf der Salmon Creek Farm von Fritz Haeg zu verbringen. Fritz hat vor ein paar Jahren an der Küste Nordkaliforniens, in den Redwoods, eine verlassene Hippie-Kommune übernommen, die aus etwa zehn Hütten besteht. Es gibt einen pool von KünstlerInnen, die temporär dort wohnen und mithelfen, darunter auch Andrea Zittel. So etwas könnte ich mir in Zukunft auch als dauerhafte Lebenssituation vorstellen.
M: Das macht total Sinn, wenn man sich deine Praxis anschaut, also in dem Sinne, dass es umfassender wird. Woran arbeitest du eigentlich gerade?
P: An verschiedenen Dingen. Ein Film- und Rechercheprojekt führt mich zum Beispiel an Orte, in denen Konflikte rund um die Extraktion von Sand entstehen. Auf der Insel O‘ahu habe ich zum Beispiel das burial council besucht, das ist ein Beirat der bestimmte Konflikte im Umgang mit einheimischen Grabstätten vermittelt, ich habe Kumu Hina getroffen, eine kulturelle Ikone der hawaiianischen Renaissance der indigenen Pre-Kontakt-Kultur, oder auch Aktivisten, die eine bestimmte Schneckenart vor dem Aussterben schützen. Es geht mir dabei um Prozesse des Verschwindens und um Menschen, die diesen Entwicklungen etwas entgegensetzen. Interessanterweise werden momentan vielerorts ähnliche Narrative auch von eher rechtsgerichteten, nationalistischen Bewegungen vereinnahmt.
M: Ja, daran musste ich auch gerade denken. Im Gegensatz zu Erde, die in einem alteuropäischen Gedanken wie Humus dicht und nahrhaft ist, ist Sand für mich eher etwas Entpersonalisiertes. Obwohl dieser selbstverständlich auch Teil des Grund und Bodens ist und aus ‚echten’ Partikeln der Geschichte dieses konkreten Ortes besteht. Allerdings bietet sich Sand zunächst nicht so als Kampfbild an, er lässt sich nicht so gut vereinnahmen, hat man so den Eindruck, oder? In der Ausstellungsgeschichte des Kunstvereins München schlägt sich diese Blut- und Boden-Politik beispielsweise auch nieder. So gab es 1935 eine Ausstellung, die so hieß. Ich fand interessant, dass du über diese Arbeit als Film sprichst, oder ist das im Endeffekt eine Klammer unter der dann auch ganz viel anderes passieren kann?
P: Ja, so in etwa. Meine Ausstellung Tremors, letztes Jahr in Paris, war ein Vorläufer; die Arbeiten darin haben ganz unterschiedliche Formen angenommen. Ein Aspekt um den es mir ging, war das Erdbeben von San Francisco im Jahr 1906, bei dem 80% der Stadt zerstört wurden und dank dessen sich später Stahlbeton weltweit als dominante Bauform durchgesetzt hat. Wie wir wissen, hat das den Lauf der gesamten Moderne verändert.
M: Ich habe 2012 längere Zeit in Israel verbracht und dort ist Beton ein hochpolitisches Material. Dort ist die Rede von „Fakten aus Beton“ und gemeint ist, dass man durch das Bauen aus und mit Beton Fakten schafft, die irreversibel sind, wie beispielsweise einige Siedlungsprojekte in Gaza. In Tel Aviv, der Weißen Stadt, wurde in der frühen Bauphase um 1948 zusätzliches Füllmaterial für Betonwände benötigt. Es wurden folglich oft Dinge in die Betonwände eingegossen, die auf die dort wohnenden Familien zurückgingen, wie Gürtelschnallen oder aber Organisches, wie etwa Gemüse. Das hat sich gerade in den letzten zehn Jahren als Problem dargestellt, da sich jetzt einige dieser Wände auflösen. In gewisser Weise sind diese Wände also auch Container, im Sinne von Ursula K. LeGuins The Carrier Bag Theory of Fiction.
P: Lustig, dass du genau diesen Text erwähnst! Der war für meine Installation DOUBLE MOUTHED, die ich letztes Jahr auf der Istanbul Biennale gezeigt habe auch sehr entscheidend. Es ging um zwei Höhlen, eine in L.A. und eine in Istanbul, die auf verschiedene Weisen voller Artefakte waren. Vor allem fand man dort viele Spuren von zahlreichen Science-Fiction-Filmproduktionen. So wurde für einen Film ein künstlicher See ausgehoben, mit vier Tonnen Wasser gefüllt und dann mit Dynamit weggesprengt, wobei zehntausende Jahre archäologischer Schichten unwiederbringlich zerstört wurden.
M: Die Höhle auch als Container und als Fiktion zu begreifen, in der unterschiedliche Geschichten in einem fiktionalen Ursprung gleichzeitig stattfinden, das ist ziemlich toll! Ich muss dabei an Mary Shelleys letztes Buch The Last Man denken, das 1826 herauskam. Sie entwirft eine fiktionale Höhle, in der sie als Romanautorin Blätter gefunden hat, also Blätter eines Baumes, auf denen eine Geschichte über eine dystopische Zukunft nach einer atomaren Katastrophe im Jahr 2072 erzählt geschrieben steht. Sie findet diese Geschichte in der Höhle und transkribiert sie. Ich fand das so interessant, weil die Höhle in diesem Fall so etwas wie ein Wurmloch ist, das die Zeit als räumliches Konstrukt komplett durchschneidet, aber natürlich auch Zukunft und Vergangenheit beinhaltet, also wieder eine Art Container ist. Du bist ja derzeit im Residenzprogramm der Kulturstiftung Schloss Wiepersdorf, hat dich dort speziell etwas vor Ort in Brandenburg interessiert?
P: Ja, so einiges, zum Teil auch sehr Persönliches. Ein Teil meiner Familie kam nach der Flucht aus Schlesien nach Brandenburg zunächst in einem ganz ähnlichen Schloss von Pückler unter, dessen Gutshof man dann bis in die 1980er Jahre bewohnte. Ganz in der Nähe gibt es auch den Tagebau Reichwalde, wo die größte Maschine der Welt sich in die Erde frisst.
M: Kennst du auch die brandenburgische Wüste? Die ist ziemlich genial und sieht tatsächlich aus wie eine Wüste, ist aber ein ehemaliger Truppenübungsplatz der Russen, die dort einfach alles platt gemacht haben; sie ist bis heute noch militärische Sperrzone, da man gar nicht weiß, wie stark das Gebiet mit Bomben und anderweitig kontaminiert ist.
P: Klingt ganz nach Tarkowskis „verbotener Zone“, bzw. den Strugazki-Brüdern, die damit ja irgendwie auch Tschernobyl vorweggenommen haben. Ich bin aber ganz in der Nähe von dieser sogenannten Wüste, die ja keine ist, aufgewachsen, und kann mich erinnern, dass ich als Kind manchmal aus der Ferne einen großen Knall hören konnte, was angeblich auf Bombentests zurückzuführen war. Heute streifen dort wieder Wölfe umher.
M: Diese trockenen brandenburgischen Landschaften erinnern mich sehr an die Gegend in Oregon, in der meine Eltern mit Anfang Zwanzig als Teil der Osho community lebten. An diesem sehr unwirklichen Ort eine Form von Leben herzustellen, stellte sich dann aber auch als wahnsinnig schwierig heraus. Du hast vorhin gesagt, du könntest dir vorstellen, mal so wie Fritz Haeg auf der Salmon Creek Farm zu leben. Denkst du da konkret an eine Form von kalifornischem Aussteigertum oder was genau meinst du?
P: Diese Form von Aussteigertum klingt erst mal romantisch aber reicht als Idee nicht weit genug. Ich denke da eher an die Dynamiken der ganz konkreten Architektur vor Ort und wie diese mit der Umgebung und seinen Bewohnern interagiert. Ich habe zum Beispiel mal einige Zeit in einem Tado Ando-Gebäude an der Küste von Oaxaca (Mexiko) verbracht. Der gesamte Komplex, der sehr fotogen ist, ist gradlinig an einer langen Betonwand ausgerichtet, die nicht nur Migrationswege der dort lebenden Wildtiere abschneidet, sondern auch immer sichtbar macht, wer sich gerade wo befindet – wie in einem Panoptikum. Was auf der Salmon Creek Farm hingegen so gut funktioniert, ist, dass gerade eben kein einziger Weg gerade ist. Alles ist krumm oder von Bäumen oder vom Terrain verdeckt. Die einzelnen Wohnhütten sind zwar klein, aber insgesamt gibt es überall viele Nischen und man kann dort ebenso sozial wie völlig ungestört sein. Es gibt Bereiche die zum Anbau von Nahrung genutzt werden und es gibt völlig ungestörte Bereiche. Solange man es schafft, genau diese Balance an einem Ort herzustellen, ist es eigentlich völlig egal wo sich dieser befindet.